There is a crack in everything. Thats how the light gets in.
Leonard Cohen
Risse und Brüche, Falten und Unebenheiten gelten in unserer Gesellschaft eher als unerwünscht. Das Schönheitsideal sieht Jugend, Ebenmäßigkeit und Symmetrie vor. Bilder werden dahin gehend retuschiert, dass „Fehler getilgt“ werden. Womit eine Illusion von makelloser Schönheit entsteht und das Individuelle in den Hintergrund tritt. Als attraktiv gilt, wer seinen Körper zu diesem Ideal formt und dorthin zwingt. Zwar erkenne ich eine Tendenz dahingehend, dass Menschen mit ihren Geschichten und Besonderheiten in Bildern mehr und mehr gesellschaftlich an Akzeptanz gewinnen, jedoch gilt optisch immer noch das stereotype Ideal glatt, schlank, makellos, unverbraucht. Was für mich den Ursprung in einer, für mich sehr kritisierenswerten, kapitalistischen und patriarchalen Weltordnung hat. Denn dieses Bild der Menschlichkeit, dieses Gemälde der Perfektheit hinkt. Es funktioniert nicht, denn es gibt die sogenannten „Fehler“. Es gibt sie, die Menschen die sich wehren oder nirgends dazu gehören. Es gibt sie, die Risse in den Systemen und trennenden Mauern. Es gibt sie, die kurzen Aussetzer im Rhythmus oder den herrausstechenden Pinselstrich im sonst so sanften Portrait. Es gibt sie, die Falten die sich durch Gesichter und Landschaften graben, die Falten die von Leiden und Trauer, von ungebändigter Wut oder von hemmungslosem Lachen berichten. Die tiefen Falten der Lust und zarten Fältchen in der sanft lächelnden Augenpartie. Da sind die Risse im vertrockneten Flussbett, in der Rinde einer alten Eiche, an uralten oder von der Geschichte gezeichneten Fassaden und im glühenden Asphalt. Es gibt die Brüche zwischen Menschen oder zur Natur, die Abbrüche, Ausbrüche, die Brüche die es oft braucht um Neues entstehen zu sehen.
Ich möchte „Makel“ als Unterschiede und Besonderheiten jedes Individuums feiern und hervorheben und damit sichtbar machen, dass eben genau diese uns als Individuen ausmachen. Genau diese Hervorhebung der Differenziertheit der Einzelnen, kann im Großen und Ganzen verbindend wirken, weil sie uns alle betrifft.
Durch das Hinwenden zu unseren Makeln, das Verbalisieren vom Schmerz, das Berührt werden auf der Narbe und das Feiern der eigenen Geschichte durch das Vergolden, bekommen oft ungeliebte Orte am eigenen Körper liebevolle Aufmerksamkeit und werden so ins richtige Licht gerückt: als bedeutsamer Orte der eigenen Entwicklung. Die Wunde wird zum kostbaren Kunstwerk, das von Erfahrung erzählt.
Es gibt eine uralte japanische Tradition zur Reparatur von Keramik, die sich derselben Philosophie bedient. Sie wird Kintsugi genannt und lehrt, dass gebrochene Objekte keinesfalls wertlos sind, sondern durch ihre Geschichten und Narben umso interessanter und schöner werden. Beim Reparieren wird auch ein neuer Sinn, eine neue Chance vergeben. Jedes reparierte Stück Keramik ist einmalig. Jeder Mensch der aus Rückschlägen und Brüchen lernt, wächst. Erfahrungen machen jeden von uns besonders, stark und wunderschön.
Ich stelle mir vor, dass auf diesem Wege auch den oft unsichtbaren Verletzungen Raum gegeben wird und dadurch Anerkennung, Heilung, und Transformation ermöglicht werden kann.
Goldenes – „kin“, vereinen/heilen/reparieren – „tsugi“ Wenn Narben zu Goldspuren werden