Die Beziehung von Natur und Kultur, das Auflösen von Gegensätzen, und die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Zeitqualitäten prägen die Kunstwerke von Anna Schebrak. In ihren Skulpturen verkörpert die Künstlerin die Beziehung von Natur und Kultur und verleiht deren, ineinander zerfließender Schnittstelle in den verschiedenen Materialien wie Holz, Metall, Ton auf unterschiedliche Art und Weise Form. Die Künstlerin lässt sich dafür von der Pflanzenwelt inspirieren und berühren: Blätter dienen ihr als lebendige formgebende Blaupausen für ihre raumgreifenden Holz-Skulpturen.
In ihren Miniaturskulpturen empfindet sie Buchenkeimlinge, Samenkapseln und Blätter aus getriebenem Silber nach, kombiniert sie mit Gräsern und
getrockneten Blättern und fusioniert damit Bildhauerei mit dem Genre
Schmuckkunst.
Mit ihren abstrahierten, der Natur nachempfundenen Figuren, gelingt ihr das Kunststück, die Zärtlichkeit, die die natürlichen Formen in ihr wecken, in ihre Skulpturen zu bannen.
„Schönheit ist von Natur aus antiaggressiv, sie ist heilsam und sie
speichert die Präsenz im Augenblick ihrer Schöpfung“, schreibt Frank Berzbach in „Die Form der Schönheit“. „Eine ihrer Grundquellen ist die
Fähigkeit, wirklich still sein zu können. Wenn die Schönheit ein zentrales Element der Lebenskunst wird, dann sprengt das die gewöhnlichen binären Unterscheidungen von traditionell – innovativ, schön – hässlich, konservativ – fortschrittlich, weiblich – männlich…“
Anna Schebraks Skulpturen strotzen vor dieser Sprengkraft, indem sie vermeintliche Gegensätze in sich vereinen: Zärtlichkeit, geboren aus physischer Kraft im Verarbeitungsprozess, Beständigkeit, Vergänglichkeit, auf den Punkt gebracht in der Zerbrechlichkeit des Augenblicks.
Die einzigartigen Verkörperungen dieser Ambiguitäten erzeugen eine eigenwillige Form von Ästhetik mit all der transformatorischen Kraft, die echte Schönheit auszeichnet. Haptisch einladende Rundungen treffen auf spröde kühle Farbgebung, die
einzigartigen Formen behaupten Klarheit und entziehen sich doch jeder
Messbarkeit.
„Meine Skulpturen entstehen in Verbundenheit zur Erde, aus der
Faszination über die Eigenschaften lebendiger Erscheinungen. In einem monatelangen Bearbeitungsprozess mache ich mir das Material zu eigen,
zeichne die zyklischen Prozesse natürlichen Wachstums nach und bleibe
dem Geheimnis des Werdens und Vergehens auf der Spur.“
In Form überführte Transformationsprozesse erzeugen außerdem eine
spezifische Zeitwahrnehmung, unabhängig vom Medium: Langsamkeit
erlaubt einen magischen Blick auf die Welt, zu dem Anna Schebrak auch in
ihrem 2022 entstandenen Kurzfilm „SLOW – eine künstlerische Reise zur
Langsamkeit“ einlädt.
In ihrer Erdverbundenheit, der Zelebrierung von Langsamkeit als Eigenheit
organischer Prozesse, zeigt sich eine sanfte aber effiziente
Widerständigkeit gegen patriarchale Muster: Anna Schebraks feinsinnige
Skulpturen erzählen von den Wundern, die einem und einer verborgen
bleiben, wenn man zielorientiert durch’s Leben hetzt, den kürzesten Weg nimmt und dabei das Leben selbst verpasst. In diesem Sinne wohnt
sämtlichen Werken von Anna Schebrak auch eine feministische Dimension inne.
Radikale Zärtlichkeit und Kunst für die Seele.
Text von Ulli Moschen